HANDELSBLATT, Dienstag, 30. August 2005


Führungskräfte begeistern sich zunehmend fürs Bogenschießen

Das Ziel vor Augen

Von Kirsten Niemann

 

Bogenschießen hat einen positiven Effekt auf die Gesundheit. Das wissen heute nicht nur Orthopäden und Sporttherapeuten. „Bogenschießen kann mehr sein als nur Sport- und Freizeitspaß“, sagt Rolf Hilger, Diplomsportlehrer und Rückentrainer an der Klinik am Homberg in Bad Wildungen. „Es hilft bei Konzentrationsproblemen, innerer Unruhe und mangelndem Körperbewusstsein.“

Der Blick ist zum Boden gesenkt. Erst nach etwa fünf Sekunden schaut der Mann auf. Dann geht alles recht schnell: Der linke Arm streckt den gut anderthalb Kilo schweren Bogen nach vorne, die rechte Hand zieht Pfeil und Sehne zurück bis zum Gesicht. Loslassen, lautes Schnalzen. Mit etwa 250 Stundenkilometern saust der Pfeil durch die Luft und landet 50 Meter weiter auf einer Holzscheibe, neben einem weiß markierten Punkt. Zufriedenes Kopfnicken. Ein intuitiver Schuss, exzellent platziert.

„Wenn ich schieße, kehrt absolute Ruhe in den Körper“, sagt Andreas Rosenberg und erklärt so seine Faszination beim Bogenschießen. Gut 20 Jahre nachdem er Gummipfeile und Flitzebogen für immer in die Spielzeugkiste gepackt hatte, kam er erneut zu diesem Sport. „Das Bogenschießen zwingt einen, an sich selbst zu arbeiten“, sagt der 33-jährige Ingenieur aus Berlin. Es hilft abzuschalten, sich auf den passenden Augenblick des Loslassens, auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Bogenschießen ist Charakterschulung – das hat der chinesische Philosoph Konfuzius schon im sechsten Jahrhundert vor Christus erkannt. Als Breitensport hat es sich jedoch erst im 16. und 17. Jahrhundert in England durchgesetzt. Seitdem erfreut es sich erdenklich vieler Varianten: Beim Scheibenschießen wird von einer Entfernung von 18 bis 90 Metern gezielt. Je weiter die Distanz, desto größer die Zielscheibe. Beim Feld- oder Jagdbogenschießen werden dreidimensionale Tierattrappen und Bilder im Gelände aufgestellt. Der Schütze muss die Entfernung zu den Zielen selbst einschätzen. Häufig muss er bergauf oder bergab schießen, was eine zusätzliche Erschwernis bedeutet.

Beim Weitschießen sind je nach Bogentyp 300 bis 500 Meter möglich, beim Bogenlaufen wird zunächst ein Kilometer gejoggt, bevor vier Pfeile auf eine 20 Meter entfernte Scheibe gezielt werden.

Dass dieser Sport einen positiven Effekt auf die Gesundheit haben kann, bestätigen heute auch Orthopäden und Sporttherapeuten: Der Bogenschütze steht bewusst aufrecht. Das kräftigt seine Rücken-, Nacken- und Schultermuskeln. Als Bestandteil von Rückentherapien können damit Rumpf und Wirbelsäule stabilisiert und Schulterschmerzen gelindert werden.„Es hilft bei Konzentrationsproblemen, innerer Unruhe und mangelndem Körperbewusstsein.“
„Bogenschießen kann mehr sein als nur Sport- und Freizeitspaß“, sagt Rolf Hilger, Diplomsportlehrer und Rückentrainer an der Klinik am Homberg in Bad Wildungen.

 „Bogenschießen hat etwas Paradoxes“, sagt Rosenberg. Der Sport scheine zwar absolut zielorientiert, dabei sei Ehrgeiz der größte Feind der Schützen. „Die Menschen haben viel zu sehr das Ziel vor Augen.“
Wichtiger sei es, sich auf den Weg zu konzentrieren, sagt der Ingenieur: „Wenn ich an der Schusslinie etwas falsch mache, dann ist der ganze Schuss versaut.“ Eine Erkenntnis, die sich auch auf die Probleme von Alltag und Wirtschaft übertragen lässt.

„Einerseits ist Bogenschießen ganz einfach: Man braucht nicht mehr als Pfeil, Bogen und ein Ziel am Waldrand“, sagt Arnd Schäfer, passionierter Bogenschütze, Manager-Trainer und Geschäftsführer der Kölner Firma Living Media. Andererseits sei das Ganze viel schwerer als gedacht: „Der Schütze muss erst einmal den Kopf leer fegen und tief durchatmen, bevor er in der Lage ist, das Ziel zu treffen.“

Dabei gehe es nicht etwa um Kraft und Energie, sondern um Konzentration und Entspannung. Und nicht zuletzt auch darum, sich auf uralte und längst verschüttete Fähigkeiten zu besinnen. Bewunderung schwingt in der Stimme des 45-Jährigen, wenn er daran erinnert, dass unsere Vorfahren darauf angewiesen waren, sich mit Hilfe von Pfeil und Bogen zu ernähren. Manche Schützen haben sogar auf eine Distanz von 800 Metern das Ziel getroffen.

Anfang der 90er-Jahre zog Schäfer zum ersten Mal mit einer Truppe abgearbeiteter Abteilungsleiter zur mentalen Erfrischung in den Wald. Ausgestattet mit Pfeil und Bogen schossen sie auf Truthähne aus Kunststoff und Eulen aus Holz. Die Pfeile flutschten meist irgendwohin ins Gebüsch.

Ähnlich fehlgeleitet seien oft die Strategien in den Führungsetagen, meint Schäfer. Beim Schießtraining komme die wichtigste Frage von allein: „Wo ist eigentlich mein Ziel?“ Das lasse sich wunderbar auf das Unternehmen übertragen: „Ständig werden so viele Ideen in den Markt geblasen. Aber will das überhaupt einer?“ An Stelle eines Wildschweins aus Plastik hat der Abteilungsleiter nun den Kunden im Visier.

Inzwischen buchen viele große Firmen das Schießtraining mit Pfeil und Bogen. Etwa wenn sich komplette Führungs-Etagen für ihre mehrtägigen Sitzungen in die Berge zurückziehen. Nach dem Mittagessen oder am Abend zielen die Kollegen einen Köcher voller Pfeile auf die Scheibe. Anschließend stellen sie sich der Frage: Welche Ressourcen haben wir in der Firma, um unsere Ziele zu erreichen?

Auch Teamfähigkeit lässt sich mit dem Bogensport schulen. Seit anderthalb Jahren veranstaltet Schäfer Gruppen-Wettbewerbe für Führungskräfte großer deutscher Unternehmen. „Dabei zählt, dass das ganze Team sein Ziel erreicht“, sagt Schäfer. „Es hilft nicht, wenn nur einer ein guter Schütze ist.“